|
Dem eiligen Blick bleiben diese
Arbeiten verschlossen. Wie vor jeder ambivalenten sich nicht im Eindeutigen
und Mimetischen erschöpfenden Form der Kunst, braucht der Betrachter
der Bilder von Dietrich Bartscht Zeit, sich zu orientieren und ein individuelles
Verhältnis zu ihnen zu finden. Meint er zunächst, nichts als ein
Gewirr verschlungener, einander überlagernder Pinselzüge in verschiedenen
Farben zu erblicken, erschließen sich ihm nach und nach Zusammenhänge.
Das Auge beginnt, die einzelnen Pinselzüge so weit zu verfolgen, bis
sie sich zu Umrissen zusammenfügen und figurale Konstellationen erkennen
lassen, die sich jedoch nicht zu gegenständlichen Formen zusammenfügen.
Diese "Figuren" ragen auf, breiten sich dynamisch aus oder stürzen,
greifen ineinander und auch gegeneinander. Manche Kompositionen sind überschaubarer,
andere ziehen den Betrachter hinein in einen Sog komplexer Form- und Farbbeziehungen.
In einigen herrschen die tektonischen Elemente vor, in anderen die dynamischen,
die sich bis zum Chaos verschlingen können.
Die neuen Monotypien Dietrich Bartschts werden beherrscht von einer Spannung
aus Expression und Struktur. Anders gesagt: sie offenbaren eine kraftvolle
Dynamik und zugleich den Willen, diese Bewegung, die ihrer Natur nach
grenzenlos ist, in stabilen Formen einzufangen. Diese "Bändigung"
leisten die figuralen Gebilde. Expression und Struktur sind hier keine
starren, sich ausschließenden Gegensätze, sie bilden aufeinander
bezogene Pole, zwischen denen sich ein Spannungsfeld aufbaut. Natürlich
gilt dies grundsätzlich für jedes Werk der bildenden Kunst,
das sich nicht auf eine platte Wiederspiegelung des Gesehenen oder Behaupteten
beschränkt. Für eine Madonna Correggios ebenso wie für
eine Monotypie von Dietrich Bartscht. Nur tritt diese Polarität seit
der klassischen Moderne auf neue, augenfälligere Art ins Bild, und
es scheint schwieriger geworden zu sein, sie auszutarieren. Jene Künstler,
die sich radikal vom Gegenstand verabschiedet haben, können nicht
auf Kriterien bauen, die im Objekt selbst begründet liegen. Und besonders
diejenigen nicht, die sich in ihrem Schaffen keinem rationalen Kalkül
verpflichtet wissen. Der Weg, der zu gehen ist, um "den grandiosen
Exhibitionismus der befreiten Geste mit einer allgemeingültigen idealisierten
Struktur in Übereinstimmung zu bringen" (Sandro Bocola) ist
auf keiner Landkarte einer normativen Ästhetik verzeichnet. Intuition
- eine den ganzen Einsatz fordernde Navigation - ist der Kompaß,
der Entscheidungen so oder anders treffen lässt. Ob er zum Ziel führt,
entscheidet allein das Resultat, die optische Evidenz des Werkes.
Gefahren drohten der Spontaneität schon in der frühen Moderne
von einer zeitgenössischen Form von "Kunstfertigkeit",
der Wandlung der "befreiten Geste" zur Pose. Die Geschichte
des Informel lehrt, wie schnell die Manifestation der reinen Spontaneität
zu einem neuen Akademismus gerinnen konnte, gegen den jüngere Generationen
rebellieren wollten und mußten. Der Protest richtete sich dabei
nicht notwendiger Weise gegen die malerische Entfesselung spontaner Dynamik
- er konnte auch in ihrem Namen protestieren -, sondern dagegen, daß
sie mit ihrer risikolosen Ritualisierung ihre künstlerische Wahrhaftigkeit
eingebüßt hatte. Dietrich Bartschts Anfänge sind mit dieser
Rebellion verbunden. Das "Kollektiv Herzogstraße", eine
Künstlergruppe, der er schon als Student in München angehörte,
war - sowohl was den Impetus als auch einige der beteiligten Künstler
angeht - die legitime Nachfolgerin der Münchener Gruppe SPUR, die
sowohl dem Surrealismus als auch der Veräußerlichung der Geste
den Kampf angesagt hatte. Von den heute naiv erscheinenden sozialrevolutionären
Ambitionen abgesehen, ging es den Protagonisten eben auch um die Figur,
die sich als ein Moment des Festen und Widerständigen nicht in reine
Gestik auflösen läßt und dem Bild Gewicht verleiht. Eine
Figur freilich, die weniger ein Gegebenes ist, sondern die gleichsam als
Konkretion malerischer Energie im Malprozeß selber entsteht. Asger
Jorn war - trotz aller Unterschiede - die große Leitgestalt dieses
künstlerischen Konzepts.
Dietrich Bartscht hat in diesem Sinne am Figurenhaften festgehalten. Freilich
gibt es - und alles andere wäre wiederum ein Zeichen von Erstarrung
- Pendelbewegungen zwischen den beiden Polen Dynamik und Struktur. In
den Arbeiten der frühen 1980er Jahre waltete eine kraftvolle Bewegung
kühner, breiter Pinselschwünge, aus der ebenso bewegte Figurenassoziationen
hervorgingen. In den frühen 1990er Jahren verfestigten sich die Kompositionen,
die Flächen wurden blockhafter und farbintensiver. Die neuen, jetzt
ausgestellten Arbeiten haben dagegen wieder an Bewegtheit gewonnen. Das
Blockhafte ist einer größeren Ökonomie der Mittel, die
an Sparsamkeit grenzt, gewichen. Die Technik der Monotypie, eines Druckverfahrens,
das die Vereinigung graphischer Strenge mit malerischer Opulenz gestattet,
verstärkt diese Wirkung. Die mit dem Pinsel auf die Druckplatte aufgetragenen
expressiven Linien, die Flecken, Voluten und Kringel, führen ihr
Widerspiel vor dem hellen Bildgrund wie vor dem Licht eines südlichen
Landstrichs auf. Nicht zuletzt dieses Licht gibt ihnen ihr Maß.
Sie sind gleichsam Spuren elementarer Kräfte, die miteinander im
Streit liegen und dennoch ihr Maß finden. Unter dem Diktat einer
grenzenlosen Dynamik fielen sie der Zerstörung anheim. Über
den Bildrahmen hinaus gedacht, ist dies keineswegs nur eine innerkünstlerische
Frage der Organisation bildnerischer Elemente. Die "befreite Geste",
wenn sie genuin ist, bildet nichts ab, aber sie weist über sich selbst
hinaus als Ausdruck eines sinntragenden psychischen Impulses, der seiner
Intention nach sowohl höchst individuell ist als auch auf Weltgestaltung
zielt. Sie besitzt existentielle Bedeutung für den einzelnen und
ist von geradezu politischer Brisanz angesichts einer blindwütig
sich austobenden wirtschaftlichen Dynamik, der willig-ohnmächtig
nahezu alles andere untergeordnet wird. Gegen diese Maßlosigkeit
setzt die Kunst Dietrich Bartschts - Kondensat persönlicher Erfahrungen
und Ausdruck einer Lebenshaltung - ein bildnerisches Äquivalent des
"mittelmeerischen Denkens". Ähnlich wie in der Literatur
und Philosophie der aus Algerien stammende Albert Camus eine Haltung des
Maßes, eine Revolte im Zeichen unhintergehbarer menschlicher Einmaligkeit
und Konkretheit formuliert hat. Korrespondenzen und Koinzidenzen mit dem
bildnerischen Werk von Dietrich Bartscht lassen sich auf bewusster und
unbewusster Ebene finden. Es handelt sich um eine geistige Verwandtschaft,
deren Resultate Augenblicke eines glücklichen Schauens bieten, wie
sie nur das künstlerisch und existentiell Authentische zu gewähren
vermag.
Prof. Dr. Andreas Kühne und Christoph Sorger
|
|